Lionheart Das exklusive Grafik-Wunder für den Amiga

Extended Version

Lionheart

Keine Schöne und das Biest

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Es gibt viele Dinge, in denen sich Videospieler von damals und heute unterscheiden. Ein wesentlicher Kontrast ist sicherlich, dass man sich bewusst ist, was eine Hardware zu leisten vermag. Wir hatten damals einen Sinn dafür, wann ein Spiel die sehr begrenzte Hardware beeindruckend nutzte und wann nicht. Heute macht sich das in Frameraten und der konstanten Aufrechterhaltung der Auflösung bemerkbar. Was die Technik der aktuellen Hardware wirklich bedeutet, weiß ein Fortnite-Zocker heute kaum noch. Es interessierter auch nicht und wird selten wirklich gewürdigt, was ein Spiel grafisch leistet. Weil ganz klar, die technischen Beschränkungen sind gewissermaßen verschwunden, und Spiele werden in der Regel mit fertigen Engines entwickelt. Die Resultate sind oft beeindruckend, es ist allerdings eine Selbstverständlichkeit geworden.

Unser Amiga hatte viele Spiele, die sicherlich weniger im Bereich der technischen und grafischen Leistung überzeugten. Aber gelegentlich beeindruckten einzelne Werke immer wieder mit grandiosen technischen Tricks, die geradezu Unglaubliches aus der Hardware kitzelten. Wer damals das erste Mal z. B. Shadow oft the Beast sah, staunte Bauklötze. Und auch von Jim Power war man beeindruckt, um nur zwei davon zu nennen.

1993 wurde dann aber alles auf dem Amiga absolut übertroffen, was man je zuvor gesehen hatte. Und rein gar nichts konnte danach dieses Spiel grafisch und vor allem technisch übertreffen.

Lionheart setzte nicht nur Maßstäbe, sondern machte fast das Unmögliche möglich. Aus der Sicht eines Programmierers muss man zwar sagen, dass auch Lionheart keine Wunder vollbringt, trotzdem hat es niemand geschafft, die Hardware so zu überlisten und optimal zu nutzen, wie die Entwickler dieses Spiels das geschafft haben.

Alles fing an, als sich Anfang der 90er ein Österreicher und ein Niederländer zufällig trafen. Der junge Erwin Kloibhofer kam aus schulischen Gründen nach Holland und traf dort irgendwann einmal Henk Nieborg. Man kannte sich mehr oder weniger aus der Demoszene und hatte so die Möglichkeit, sich persönlich gegenüberzutreten. Die Chemie passte, die Interessen und die Begeisterungen waren die gleichen.

Erwin, ein fähiger Programmierer, Henk ein Grafiker, der einen einzigartigen Grafik-Stil mit der Zeit entwickelte. Schnell entschlossen sich beide, ein eigenes Spiel zu erschaffen. Erwin ging wieder zurück nach Österreich, so blieb nur der Kontakt über Briefe und gelegentlichen Telefonate. Reichlich umständlich, aber es funktionierte, gewissermaßen. Heraus kam dabei Ghost Battle. Die Qualität der Grafik war in der Tat sehenswert, noch nicht so ausgereift wie spätere Werke von Henk, aber man erkannte bereits den unverwechselbaren Style. Auch technisch konnte sich das Spiel sehen lassen.

Was aber überhaupt nicht passte, war das Gameplay. Unausgereifte Steuerung und allgemein sehr schlechtes Gamedesign. Ghost Battle ist ein Jump and  Run, man steuert den etwas seltsam anmutenden, muskelbepackten Hauptcharakter und erwehrt sich Unmengen von Gegnern, in dem man Steine schmeißt. Steine schmeißen als Hauptwaffe ist mal echt ne Idee. Urrg. Die Wertungen bewegen sich im 50 Prozent-Bereich. Dabei sieht es grafisch wirklich gut aus, man sieht auch bereits eine gewisse Ähnlichkeit mit Lionheart. Dieses Spiel kommt ein wenig wie der buckelige Vorgänger daher, den man lieber im Glockenturm versteckt.

Der Firma Thalion gefiel die Sache allerdings zumindest so gut, dass sie das Spiel der beiden Jungs veröffentlichten. Und nicht nur das, sie bekamen gleich einen Job in der Gütersloher Softwareschmiede. Thalion-Mitbegründer Erik Simon sah offenbar das Potenzial der beiden Jungs, welches er so groß einschätzte, dass er mit ihnen ein wahres Megaprojekt auf die Beine stellen wollte. Dieses Mal wollte er sich allerdings persönlich um das gesamte Gamedesign kümmern, damit so etwas nicht noch einmal passieren konnte, wie bei Ghost Battle.

Erwin und Henk zogen nach Gütersloh, sie bekamen jeweils ein Büro, das keine 8 m² maß, ohne Fenster. Wozu auch? Da die beiden jung, unproblematisch und pleite waren, schliefen sie auch in diesen Büros. Geld für eine Wohnung war nicht vorhanden. Jeder hatte eine am Tage an der Wand lehnende Matratze, die sie in der Nacht mit einem Schlafsack zum Schlafen nutzten, manchmal sicher auch andersherum. Tag abhängig. Geduscht wurde gelegentlich bei Erik privat. So sah das Leben der beiden die nächsten sechs Monate aus. Heute kaum vorstellbar, aber so war das damals. Zumindest hatten sie ausreichend Zeit zum Entwickeln und wenig Ablenkung. Natürlich haben die Drei das Spiel nicht allein erschaffen. Es gab da noch Michael Bittner, der die spektakulären Intros und
Extro-Sequenzen programmierte und zusätzlich für einige Gegner-Taktiken verantwortlich war. Für den epischen Sound war Soundgott Matthias Steinwachs zuständig, von ihm haben wir anschließend ein ausführliches Interview.

Hilfreiche Geister, wie sie genannt wurden, waren auch Matthias Mörstedt, der die Sound-Routinen erledigte sowie Wolfgang Breyha und Reinhardt Franz, ohne die beiden letztgenannten wäre es nicht möglich gewesen, dass dieses Spiel mit nur einem 1MB-Arbeitsspeicher laufen würde. Sogar der Turrican-Erfinder Manfred Trenz kam öfter vorbei und schaute nach dem Rechten. Auch er steuerte ein paar technische Kniffe bei.

Mit dem übrigen Thalion-Team stand man ebenfalls in engem Kontakt. Das Team war sehr familiär, man verbrachte viel Zeit zusammen und diskutierte über alles Mögliche. In der knappen Freizeit verschlang man zusammen Pizza, zockte Import-Games am Megadrive oder Neo Geo.
Spielhallen-Besuche standen ebenfalls auf dem Plan, natürlich nur zum Zweck der Inspiration. Für alle war es eine riesige und aufregende Sache, an diesem Spiel zu arbeiten. Ihnen war gleich zu Beginn bewusst, dass hier etwas Außergewöhnliches entstehen würde.

Auch Thalion Geschäftsführer Willi Carmincke ahnte, dass hier, aus wirtschaftlicher Sicht, ein viel zu großes Projekt angefangen wurde. Warum er dem zustimmte, wusste er später wohl selbst nicht mehr so genau. Aber Thalion war schon immer mit ihren Projekten knapp an der Wirtschaftlichkeit. Bei ihnen standen die Leidenschaft und der Wille im Vordergrund, etwas Besonderes zu schaffen, so auch bei Lionheart. Zumindest hoffte man, die Entwicklungskosten wieder einzuspielen.

Henk und Erwin in ihrem 8m² Büro.

Die Entwicklung begann im November 1991. Henk zeichnete die gesamte Grafik an seinem eigenen Amiga 500, der eine geringe Menge an extra RAM hatte und eine 20 MB Festplatte, mittels Deluxe Paint. Erwin hatte auf einen Amiga 2000 mit 20 MB Festplatte aufgerüstet. Programmiert wurde alles in Assembler. Der komfortable Level Editor wurde dann aber in C geschrieben. Mit dem Editor konnte sich Simon so richtig austoben. Allerdings wurde jeder einzelne Level wieder etwas angepasst. Gerade der Erste ist ein wahres technisches Meisterwerk und unglaublich komplex in der Programmierung. Da gab es einiges an Kopfzerbrechen.

Das Spiel nahm schnell Form an. Auf Messen, an welchen man Lionheart das erste Mal vorstellte, wollten viele nicht glauben, dass hier ein gewöhnlicher Amiga mit OCS Chipsatz die Arbeit erledigte. Man vermutete, dass es hier ein AGA-Spiel wäre. Aber nein, es war ein gewöhnlicher Amiga 500 mit 1 MB Speicher, mehr nicht.

Die Presse überschlug sich, und Lionheart wurde schnell zum hoffnungsvollen Megakracher, der die Spielhalle heimwärts holte und alles bisher Dagewesene übertraf.

Auch Thalion gab sich alles andere als bescheiden, sie waren sich durchaus bewusst, dass Lionheart etwas Besonderes werden würde. Die Entwicklung ging gut voran, bis Henk einmal versehentlich die Festplatte mit fertigen Leveln formatiert hatte, und Erwin pausenlos mit „Rhythm Is a Dancer“ alle in den Wahnsinn trieb. Der Song lief pausenlos und wurde nachgesungen, in wohl nicht so optimaler Qualität.

Trotz der guten Vorschritte konnte das angepeilte Datum, Dezember 1992, nicht eingehalten werden. Die Jungs arbeiteten hart und taten alles, aber es war einfach nicht möglich. Das sah Willi Carmincke anders. Er verlangte, dass Henk und Erwin Weihnachten komplett durcharbeiten sollten. Das war sehr frustrierend und eine persönliche Geringschätzung nach all der harten Arbeit. Dadurch kam der Gedanke auf, sich nach einer anderen Firma umzuschauen, sobald das Spiel fertig ist.

Lionheart wurde nach weiterer harter Arbeit fertiggestellt und erschien am 22.Januar 1992. Die Presse drehte wie erwartet durch, das Spiel bekam Höchstwertungen und wurde mit Auszeichnungen bombardiert. Es war unglaublich, was dort auf dem Amiga 500 lief. Die Grafik, der Sound, unfassbar! Nur, ist Lionheart letztlich wirklich so perfekt? Nicht ganz, aber fast. Legt man die erste der vier Disketten ein, präsentiert sich ein unglaublich mitreißendes und perfekt inszeniertes Intro. Der brachiale orchestrale Sound donnert aus den Boxen, perfekt abgestimmt auf das grafisch grandios dargestellte Optische. Wunderschöne fantasiereiche Landschaften, eine technisch toll umgesetzte 3D-Begehung eines alten Kerkers und das Besteigen eines flugbereiten Drachens. Viele Gründe, begeisternd zu staunen.

Was die Story selbst betrifft, sie ist recht politisch. Kurz gesagt, unser Held, der Katzenmensch Valdyn, wird vom König dazu verdonnert, das gestohlene Löwenherz – die heiligste Reliquie des Katzenvolkes – zurückzuholen. Dummerweise ist bei der Diebesaktion seine Geliebte zu Stein geworden. Es wäre also auch nur von Vorteil, wenn man sie nebenbei auch noch irgendwie retten könnte. Der Aufbruch zum Auftrag läuft aber alles andere als gut. Valdyn wird während seines Fluges mit dem Drachen von einem riesigen Luftschiff angegriffen. Seine Fluggelegenheit wird entführt, so muss er erst mal zu Fuß die Strecke zurücklegen.

An dieser Stelle beginnt das Spiel: Ihr findet euch im Sumpf wieder. Gleich am Anfang stockte sicher jedem der Atem, der diesen Level das erste Mal zu Gesicht bekam. Hier wird grafisch und technisch alles aus der Hardware gesaugt, was irgendwie möglich war, und auch einiges, was man kaum für möglich gehalten hätte. Da wäre das sechsfach unterschiedlich scrollende Dual-Playfield, das im unteren Bereich noch mit einem super sauber scrollenden Zeilenscrolling aufwartet. Man kennt diesen Effekt z. B. von Street Fighter 2 Arcade oder SNES. Hinzu kommt das grandios gepixelte Spielfeld selbst, welches mit einem raffinierten Farbverlauf überdeckt ist, der mehr Farben vorgaukelt. Zusätzlich kommt eine weitere Ebene für Wellen schlagendes Wasser im Vordergrund dazu. Das Ganze läuft alles, ohne zu zuckeln und zu haken, butterweich mit 50 Frames.

Level 1

Bei dieser Grafikpracht bleibt es jedoch nicht. Betritt man in diesem Level die verschiedenen Dungeons, ändert sich das Grafiksystem. Hier hat man zwar keine weiteren Ebenen im Hintergrund, dafür erstrahlt die Grafik aber mit 64 Farben im Extra Halfbrite Modus. Es sieht fantastisch aus und ist einfach nur düsterknallbuntperfekt abgestimmt. Henk hat sich hier richtig ausgetobt mit seinem unverwechselbaren Grafik-Design.

Was auch extrem auffällt, ist der tatsächlich perfekt passende Soundtrack von Matthias Steinwachs. Schon allein der erste Track fällt auf durch seinen umfangreichen Abwechslungsreichtum und seine mitreisende Melodien. Dieser Track wird nur übertroffen durch den des Turmlevels. Er gehört mitunter zum Besten, was man auf dem Amiga je hören durfte. Auch die anderen Tracks können sich absolut hören lassen und könnten nicht besser zur jeweiligen Kulisse passen. Beim Lionheart-Soundtrack handelt es sich nicht um den üblichen bekannten Soundstyle, den man von dem Amiga kennt. Hier ist es orchestralisch und mehr wie Filmmusik.  Also auch soundtechnisch wird hier einiges geboten. Die weiteren Level bestechen durch jeweils eigene Ideen und erzählen gewissermaßen die Geschichte des Spiels weiter.

Matthias Steinwachs, damals bei der Arbeit.

Nach dem besagten Turmlevel geht es ab in den Untergrund. Ihr betretet den beeindruckend gestalteten Lava-Level. Hier ist es wichtig, einen geheimen Ort zu finden, denn dort befindet sich ein Amulett, das euch am Ende des Spiels die Möglichkeit gibt, eure Geliebte, die zu Stein erstarrte, wieder zum Leben zu erwecken. Das ist nicht zwingend nötig, aber ohne Freundin ist halt auch blöd. Es gibt also zwei verschiedene Enden: Einmal bringt man seine Geliebte lebend zurück. Das andere Ende bringt einem bestenfalls eine dekorative Statue für den Vorgarten. Sobald ihr aus dem Untergrund emporgestiegen seid, sitzt ihr auf ein zweibeiniges Reittier auf und gelangt so auf das riesige Luftschiff, das euch zuvor überfallen hatte. Die Szene erinnert etwas an R-Type, bei welchem ebenfalls dieses übergroße Schiff vorhanden ist, das den ganzen Level beschäftigt. Auch hier haben wir tolle duale Playfield-Effekte im Hintergrund. Spätestens wenn man über den Baumkronen schwebt, ist das Staunen groß. Im Zuge dessen befreit ihr euren Drachen, mit dem ihr vom Flugschiff flüchtet. Anschließend gibt es im Shoot ’Em Up-Style eine Luftschlacht hoch oben zwischen den Wolken. Grafisch schön gezeichnet, technisch eher unspektakulär. Das Gameplay kann hier auch nicht mit reinen Shoot ’Em Up-Spielen mithalten.

Nach dem Sieg über einen mechanischen Drachen geht es ab in das Schloss im Himmel. Der Turm eures Widersachers muss gestürmt werden, bis ihr ihm endlich gegenübersteht. Ein erbitterter Kampf entflammt, der es in sich hat. Der letzte große Endgegner kommt gleich in Gestalt mehrerer Formen daher. Habt ihr diesen Kampf gewonnen, beginnt ein schönes Extro, das eines der zwei Enden erzählt.

Technisch gibt es noch einen netten Echtzeit-Zoom-Effekt und eine 3D-scrollende Landschaft, die einfach nur unglaublich aussieht. Die ewig langen Credits werden unterlegt von einem weiteren epischen Stück Soundtrack. Was für ein Sound! Ich liebe diesen Track. Beim Anschauen wird euch klar, Lionheart ist anders, epischer, und es hat einen vernünftigen storybedingten Ablauf, was man nur selten bei Actionspielen sieht. Das Ende erzeugt nach all den Strapazen, die man im Spiel durchlebt hat, eine Gänsehaut.

Shoot em up

Das hört sich alles unglaublich genial an. Und gewissermaßen ist es das auch, aber es gibt auch in Lionheart einige Haken, die das gesamte Spiel beeinträchtigen. Die gewaltige Grafikpracht hat auch seine Nachteile. Sonderlich viel ist nicht auf dem Screen los. Nur wenige Gegner tummeln sich gleichzeitig auf dem Bildschirm. Allgemein kommt das Gameplay auch recht gemächlich und wenig hektisch daher. Das muss nicht schlecht sein, es ist aber technisch bedingt. Auch ist Valdyns Schwert viel zu kurz, man muss den Gegnern schon sehr auf die Pelle rücken, um sie damit abzuwehren. Auch dieser Punkt ist technisch verursacht worden. Man nutzte die Hardware Sprites dafür, und diese sind leider nur 16 Pixel breit. Daraus ergibt sich dann auch die Schwertlänge. Das ist schlichtweg der Grund, warum es nicht anders ging. Diese Sache wurde an Lionheart wohl am meisten bemängelt. Und es ist leider wirklich ein Kritikpunkt, der sich logischerweise durch das gesamte Spiel zieht. Kommt man damit jedoch klar – und das wird man –, hat man trotzdem ein gut spielbares Spiel.

Ein weiterer Minuspunkt ist der Umfang des Spiels. Der ist zwar durchschnittlich, aber man muss das gesamte Spiel in einem Rutsch durchspielen. Es gibt keine Codes für erledigte Level oder eine Save Option. Das war damals zwar gang und gäbe, hätte dem Spiel aber sehr gutgetan. So benötigt man ordentlich Zeit und einen guten Tag, um es wirklich ohne Cheat zu schaffen.

Kritik hin oder her, die Jungs haben hier etwas Unglaubliches geleistet und richtig Herzblut in die Sache gesteckt. Es wirkt wie ein Abschiedsgeschenk an den Amiga und ein Denkmal daran, was diese Hardware zu leisten vermag. Und so war es dann auch. Was den finanziellen Erfolg von Lionheart angeht, gibt es geteilte Aussagen: Von, „es lohnte sich einigermaßen gut“, bis zu, „nicht einmal die Entwicklungskosten kamen rein“, ist alles dabei. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Ich vermute, dass die relativ geringen Entwicklungskosten eingespielt wurden.

Ein größerer Erfolg war das Spiel aber ganz sicher nicht. Das liegt zum einen an der Kopiermentalität von damals, aber auch am misslungenen Marketing. Die Big Box war schon sehr gewagt und nicht sonderlich aussagekräftig. Es war auch nach Weihnachten, und abgesehen davon kündigte sich das Ende des Amigas bereits an.

Umsetzungen für andere Systeme gab es ebenfalls nicht, da Thalion mit Konsolen keine Erfahrung hatte. So blieb es ein Amiga-Exklusivspiel. Somit war Lionheart eines der letzten Spiele für den Amiga von Thalion.

Und nicht nur das, durch die Streitigkeiten zu Weihnachten – wir erinnern uns, Willi wollte, dass durchgearbeitet wird –, verabschiedeten sich Henk und Erwin von Thalion und wurden freudig empfangen bei Psygnosis. Davor wurden sich noch einmal ordentlich vom Boss zusammengefaltet, was ihre Entscheidung nur noch stärkte. Diese Zeit war so belastend, dass Henk sogar überlegte, die Gaming-Branche komplett zu verlassen. Zum Glück tat er es nicht und beschert uns bis heute unglaublich schöne und grafisch faszinierende Spiele.

Lionheart ist das Aushängeschild für den Amiga. Hier wurde gezeigt, was die Kiste drauf hat. Und auch in Sachen Gameplay setzte man ein Zeichen, trotz gewisser Mängel. Die Jungs können mehr als Stolz sein, dass sie hier ein riesiges Stück Geschichte geschrieben haben. Danke dafür an alle, die an Lionheart beteiligt waren.

Studio Thalion Software[1]
Publisher Thalion Software
Veröffentlichung 1993
Plattform Amiga
Genre Jump’n’Run Action
Spielmodus Singleplayer
Medium Disketten
Sprache Englisch

 

Wertung:  4 von 5 Sternen.

Bericht: Martin Becker  (Pittrock)

Mag+ Interview mit Matthias Steinwachs

Extended Version Interview Matthias Steinwachs
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Matthias Steinwachs war zuständig für den grandiosen Soundtrack von Lionheart. Er hat für unzählige weitere Spiele die Musik komponiert und ist so zu einer der bekannteren Soundgötter der Amiga-Geschichte geworden. Seinen unverwechselbaren Musikstil erkennt man gleich.

Wir plaudern etwas über die Zeit von damals und erinnern uns an die alten Tage.

AGF:

Hallo Matthias, gleich zu Beginn die übliche Frage: Wie kamst du zur Musik und speziell zur Musik am Computer? Womit hast du deine ersten Videospielerfahrungen gemacht?

 

Matthias:

Der Reihe nach. J Zur Musik kam ich – wie viele andere auch – durch meine Eltern. Anfangs war es der übliche „Leidensweg“ aus musikalischer Früherziehung an der Jugendmusikschule (mit 5 Jahren), danach ein Jahr Flötenunterricht (gruselig) und anschließend dann Klavierunterricht. Zum Glück wechselte ich da recht schnell zu einem coolen Lehrer. Der war a) Organist in unserer Gemeinde, sodass ich jederzeit an die 250 Jahre alte Orgel durfte und b) 12-Ton-Komponist und Jazzer, was mir schon früh neue musikalische Horizonte geöffnet hat. Bei dem habe ich viel Jazz gelernt und daher dann mit 14 auch in einer Jazzband gespielt. Später dann auch in Punk-, Funk-, Pop- und Heavy Metal-Bands. Bis auf Western habe ich da glaube ich nix ausgelassen. Außerdem hatte ich noch ein paar Jahre klassischen Gesangsunterricht, weil ich eigentlich Gesang studieren wollte. Ich habe mich dann aber erst für Schulmusik und später für Musikwissenschaften entschieden, wo ich sehr viel zu Komposition, Tonsatz, Musiktheorie und Gehörbildung gelernt habe, was mir dann später in meinem Job als Spielemusiker sehr geholfen hat. Ist schon von Vorteil, wenn man die musikalische Grammatik kennt und Noten lesen kann (kleiner Seitenhieb auf einen Kollegen, der stets stolz verkündet, er könne keine Noten lesen J).

 

Als ich dann 1984 für zehn Jahre nach Berlin gezogen bin (wegen Studium und Job), war Schluss mit Bühne und Bands. Damals habe ich dann auch mein Fender Rhodes E-Piano verkauft, ein Fehler, den ich heute noch bereue. Wenn also jemand eines übrig hat. …

 

Da musste dann der Amiga zum Musik machen herhalten, um nicht ganz rauszukommen. Eigentlich nur just for fun. Ein Kumpel von mir war in der Amiga-Demoszene (als Fred Feinbein, hi Matze) und hat das Zeug ab und zu mal gespreadet. Der war dann 1990 auch auf der CeBIT in Hannover und ist da zufällig mit Holger Gehrmann von reLINE ins Gespräch gekommen. Der suchte gerade einen Musiker für das Amiga Game Window Wizard. Matze gab ihm meine Demos, Holger fand sie gut, und ich hatte den Job. Das war damals alles etwas unkomplizierter. So bin ich dann auf die schiefe Bahn geraten J

 

AGF:

Wie kamst du zu Thalion und speziell zu Lionheart?

 

Matthias:

Ich hatte für reLINE zwei, drei Games gemacht und Spaß an der Sache bekommen. Also hatte ich mich dann anfangs bei einigen anderen Firmen beworben. Ich hatte da so was Bescheidenes geschrieben, wie: „Ich weiß, Sie haben schon einen Musiker, schmeißen Sie ihn raus, ich bin besser.“ Hat erstaunlich oft funktioniert. J Erst kam Kingsoft hinzu, die dann später mit Ikarion ein eigenes Entwicklerstudio aufmachten, für die ich auch sehr viel gemacht hatte, dann direkt Thalion. Dort hatte gerade der Jochen Hippel aufgehört, wo ich dann schnell bis zum Ende von Thalion zum Hausmusiker wurde. Los ging es mit Neuronics, dann kam der Airbus A320, No Second Prize, dann die PC-Konvertierung von Amberstar (da hatte Jochen ja den tollen Amiga- und den Atari-Soundtrack gemacht), und dann kamen schon Lionheart und Ambermoon, an denen ich gleichzeitig gearbeitet hatte. (Während ich das hier schreibe, schiele ich immer wieder auf meine Webseite, damit ich das alles in der richtigen Reihenfolge habe und nichts vergesse – ist ja echt schon so lange her)

 

AGF:

Wie waren die technischen Voraussetzungen? Wie groß durfte einer der Tracks maximal sein? Wie schwer war es, das einzuhalten?

 

Matthias:

Ich habe damals ja jeden Auftrag (die fast immer telefonisch kamen) in einen von mir entworfenen Vordruck eingetragen, um da nichts durcheinanderzubringen. Und die Dinger habe ich tatsächlich vor ein paar Monaten beim Aufräumen im Keller in einem Ordner gefunden. Daher kann ich ganz genau sagen, wie die (anfänglichen) technischen Vorgaben waren. Bei Lionheart hatte ich mir notiert: „100K pro Level mit Effekten. vierstimmig, eine Spur zum Ausblenden für Effekte. Filmmusik-Atmo, rhythmisch betont. Und bei Ambermoon (das anfangs noch den Projektnamen Amberstar 2 hatte) etwa zwanzig Stücke, zwei bis drei Minuten, 40 bis 50K. Mehr Vorgaben gab es da nicht. Die Zahl der Stücke ist bei Ambermoon dann kontinuierlich gewachsen. Am Ende waren es glaube ich 35, während der zur Verfügung stehende Speicherplatz pro Song im gleichen Maße abgenommen hatte. Normal. Damals kam erst der Programmcode, dann die Grafik und was noch übrig war, war für die Musik.

 

Mit dem Soundtracker/ProTracker war das nicht mehr einzuhalten, die Samples allein hätten schon den ganzen Speicher aufgefressen. Deshalb bin ich auf den Sonic Arranger gewechselt (ja, den habe ich mir damals auch gekauft, die Diskette habe ich heute noch). Mit dem konnte man synthetische Stimmen basteln, die nur wenige Bytes groß waren. Und wenn dann noch Platz übrig war, habe ich noch zwei bis drei Samples eingebaut. Das war recht unproblematisch. Es kam zwar ab und zu die Ansage „klingt klasse, ist aber noch zu groß, mach mal was kleiner“, aber das war alles machbar. Die Ergebnisse klangen dann ja auch ganz ordentlich für ihre geringe Größe.

 

Ich habe gerade noch mal geschaut: Die Lionheart-Songs im Sonic Arranger-Format sind zwischen 50 und 100K groß, die Ambermoon-Sachen (wo ich mehr auf die synthetischen Sounds gesetzt hatte) zwischen 7 und 50K. Das würde heute nicht mal für eine Triangel reichen.

 

AGF:

Was hat man in der Regel an so einem Projekt verdient? Wie lange warst du damit beschäftigt?

 

Matthias:

Das war damals ganz unterschiedlich. Ich habe da auch nie verhandelt, sondern immer gesagt: „Zahlt, was ihr könnt und was es euch wert ist.“

Kleine Publisher wie Lionel (Schweiz) haben dann vielleicht 1.500 DM für ein ganzes Projekt gezahlt, größere wie Psygnosis (mit Sony im Rücken) auch schon mal locker das Fünffache oder mehr. Für Ambermoon waren anfangs beispielsweise 3.500 DM vereinbart, später hat Thalion noch einmal 1.500 DM draufgelegt. Klingt vielleicht erst einmal viel. Wenn du allerdings überlegst, dass ich dafür 35 Tracks gemacht habe, plus kistenweise FX, dass ich viele Tracks auch mehrfach überarbeitet und am Ende länger an den hunderten von Effekten gesessen habe („Feuerspeiender Drache zieht Karre mit Holzrädern durch Schlamm“ – bitte nicht größer als 20 Bytes 😉 ) als an der Musik, und dass ich das alles auch noch versteuern musste, dann relativiert sich das ganz schnell wieder. Von dem Geld musste ich ja dann auch meinen Kram selbst kaufen. Mit Lionheart und Ambermoon war ich dann auch gut neun Monate beschäftigt. Da ich damals aber immer mehrere Projekte gleichzeitig in Arbeit hatte, war das am Ende schon ok. Und ich habe es ja auch nicht wegen der Kohle gemacht, sondern weil es mir einen Riesenspaß gemacht hat. Dass es dafür dann auch noch Geld gab, war nur die Sahne auf dem Eis. Ich hätte das vermutlich auch für lau gemacht – ich hatte ja noch ein paar andere Jobs.

AGF:

Wie liefen die Kommunikation und der Austausch der fertigen Tracks während des Projekts ab? In der Regel warst du ja nicht vor Ort, sondern hast daheim komponiert. Welche Probleme ergaben sich dadurch?

 

Matthias:

Richtig, vor Ort war ich selten. Ging ja auch gar nicht, ich hatte ja in Berlin mein Studium (na ja, mehr oder weniger), drei andere Jobs (Radio, Klavierlehrer und Frühbetreuung an einer Grundschule in Kreuzberg), plus Frau und Kind. Und hatte außerdem auch für Publisher in England, Frankreich, Schweiz und so gearbeitet. Das musste alles zu Hause passieren. In den ersten Jahren – also auch bei Thalion – war da nichts mit „Files eben mal per Internet rüberschicken“. Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen und die Übertragungsraten per Modem waren unterirdisch. Also wurden Disketten hin und her geschickt, dazu wurde viel telefoniert. Alles passierte also mit einer Verzögerung von zwei bis drei Tagen, je nachdem, wie schnell die Post war. „Mach mal eben“ ging also nicht, jede Neuerung brauchte gut eine Woche. Fanden wir damals aber normal, wir kannten das ja nicht anders.

 

AGF:

Wie war der Kontakt zwischen den anderen Team-Mitgliedern? Habt ihr viel ausgetauscht und über das Spiel und die Fortschritte gesprochen, oder warst du mehr der stille Auftragserlediger?

 

Matthias:

Wir haben schon oft telefoniert. Auch für Telefonate hatte ich einen Vordruck für mich (genau wie fürs Porto, um das später abrechnen zu können), um mir Notizen zu machen – gab ja auch kein WhatsApp oder SMS, um mal eben nachzufragen. Da war es wichtig, sich die Sachen besser aufzuschreiben. Und einige dieser Zettel habe ich auch noch. Schon irre, was man alles so aufhebt. Kleiner Ausschnitt gefällig?

 

11.12. (09.15 Uhr) – Erik – Frage zur Liste

11.12. (13.00 Uhr) – Erwin – Probleme mit FX, Wasser als Geheimlevel

12.12. (13.30 Uhr) – Jurie/Erwin – nur so

13.12. (13.00 Uhr) – Erwin – FX

13.12. (17.00 Uhr) – Erwin – FX

14.12. (10.30 Uhr) – Erwin – FX

14.12. (13.30 Uhr) – Erwin – FX

15.12. (10.40 Uhr) – Erwin – Reittier-Musik falsch, neue einbauen

17.12. (11.00 Uhr) – Erwin – Problem mit Sumpf FX

 

Und so ging das jeden Tag. Drei bis vier Anrufe und eine Stunde am Telefon waren da die Regel. Wir waren also im ständigen Austausch. „Thanks for supporting me with long phonecalls“, schrieb Erwin dann später im Abspann von Lionheart. Gut, dass es in Berlin keinen Minutentakt gab, jedes Gespräch kostete 20 Pfennig, egal wie lange und wohin, das war schon praktisch. Zwei bis drei Mal war ich aber auch in Gütersloh vor Ort.

 

AGF:

Du warst zwar wenig vor Ort, hattest aber trotzdem Einblicke in die Umstände, unter welchen die anderen entwickelten. Kannst du uns was daraus erzählen, wie es dort ablief?

 

Matthias:

Dass Erwin und Jurie da zeitweise in den Räumen von Thalion wohnten, ist ja inzwischen bekannt. Ich habe mich mit allen da immer wunderbar verstanden, da gab es nie Streit oder ein böses Wort. Erik (Simon) war da ein toller Projektleiter, der zwar die Zügel fest in der Hand hatte, aber auch so was wie die „Mutter der Kompanie“ war. Auch wenn ich mal da war, war da in meinen Augen immer eine sehr freundschaftliche Atmosphäre. Ob da nun mal hinter den Kulissen die Fetzen geflogen sind, weiß ich nicht. Aber das ist ja normal, wenn du mit so einem kleinen Team unter Zeitdruck zwei so große Projekte gleichzeitig entwickelst und Tag und Nacht zusammenhockst, da ist dann schon mal Druck auf dem Kessel. Das Büro von Thalion war ja auch nicht sonderlich groß, wenn ich mich recht erinnere, eher wie eine Wohnung. Kein Vergleich zu Blue Byte (für die ich später mal gearbeitet hatte), die ein ganzes Haus mit mehreren Etagen hatten.

 

AGF:

Wie erklärst du es dir, dass ausgerechnet diese Jungs das wohl technisch unglaublichste Amiga-Spiel auf die Beine gestellt haben? Waren die Programmierer einfach so viel besser als die anderen, oder war es einfach nur eine verdammt gute Teamarbeit?

 

Matthias:

Da kam vermutlich alles zusammen. Ein gutes, eingespieltes Team, gute Programmierer und einfach der Wille, etwas Einmaliges zu schaffen und nicht den hundertsten Aufguss von irgendwas. Anfang der 90er hattest du ja auch viele Freiheiten, konntest rumprobieren, ohne dass dir das Marketing da reinquatschte (wie ich es später öfter mal erlebt habe) und komplette Konzepte wieder einstampfte, aus Angst vor schlechten Verkaufszahlen. Schau dir die Games doch heute mal an, von Ubisoft, Electronic Arts usw. Da werden einmal erfolgreiche Konzepte gemolken, bis die Kuh tot ist. Sachen wie Lionheart oder Ambermoon könntest du heute gar nicht mehr machen. Daher: Wir haben wohl auch den richtigen Zeitpunkt erwischt.

 

AGF:

Warst du auf den einschlägigen Messen dabei, auf welchen das Spiel gezeigt wurde? Wie waren die Reaktionen der Besucher?

 

Matthias:

Ich war Ende 1993 einmal auf der World of Amiga in Köln, ich glaube mit Ikarion – Thalion war da ja schon Geschichte. Das wäre aber sicher interessant gewesen. Der größenwahnsinnige Willi Carmincke hatte ja zur Präsentation des A320-Games irgendwo sogar mal einen kompletten Flugsimulator mit beweglichem Cockpit aufgefahren.

 

Das mit den Messen ging bei mir erst viel später los, mit der Gamescom in Leipzig. Da war ich dann aber auch nicht für Publisher im Einsatz, sondern für meine Radiosender (damals 1Live, MDR Sputnik, HR XXL/YouFm und so). Ich habe da auch zeitweise die
ARD-Sammlung gemacht für alle ARD-Sender. Spielemessen also dann nur noch als Journalist, nicht als Musiker. Wobei, einmal wurde auf dem Eröffnungskonzert der Gamescom im Gewandhaus in Leipzig auch ein Amiga Medley gespielt, unter anderem mit ein paar Takten aus Lionheart. Da war ich dann mal als Musiker eingeladen. Da hatte ich mir gedacht, jetzt wird deine Musik tatsächlich mal im altehrwürdigen Gewandhaus von einem Orchester gespielt. Das ist ja schon ziemlich cool! War auf jeden Fall mal was, um endlich auch mal meine Eltern zu beeindrucken, die ansonsten ja den ganzen „Computerkram“ für eine brot- und kulturlose Kunst hielten.

 

AGF:

Hast du irgendeine besondere Story oder Anekdote aus der Entwicklungszeit von Lionheart, etwas Verrücktes, Lustiges oder einfach Erzählenswertes?

 

Matthias:

Hm – sorry, nee, eigentlich nicht. Ist alles zu lange her, und ausgerechnet dazu habe ich mir keine Notizen gemacht. Vielleicht, dass Valdyn, der Held aus Lionheart, verblüffend große Ähnlichkeit mit dem Grafiker Henk Nieborg hatte, der sich damit im Spiel wohl selbst verewigt hat (auch wenn er das immer abstritt). Dass Erik den Erwin zeitweise am liebsten erwürgt hätte, weil der mit Falsettstimme gerne laut und falsch (und immer dasselbe) sang, ist inzwischen ja schon mehrfach nachzulesen gewesen. Aber sonst – zu lange her.

 

AGF:

Du hast einen der bekanntesten Extro-Texte der Amiga-Szene geschrieben: „Möge all denen, die dieses Game kopiert haben, der Amiga unter den Händen verfaulen“. Dieser Text kommt am Ende von Lionheart vor. Wie kam es dazu? Und hättest du gedacht, dass diese Zeile so viel Aufsehen erregen würde? Hat sich Lionheart letztlich gelohnt, oder war es ein finanzieller Flop? Die Aussagen gehen dabei etwas auseinander.

 

Matthias:

Hat sie Aufsehen erregt? Wusste ich gar nicht. Irgendjemand sagte damals kurz vor Abschluss des Projekts: „Ihr könnt noch was in den Abspann schreiben, egal was“. Wenn ich mich recht erinnere, schrieb Erwin unter anderem: „Hallo Mutti“, Erik bedankte sich bei mir mit: „For not being as lazy as certain other sound programmers.“ Und ich hängte an meine Oscar-Rede dann eben noch diesen Satz an, ohne mir groß Gedanken zu machen. Wir hatten da halt verdammt viel Arbeit und Herzblut reingesteckt und zuvor auch groß angekündigt, dass das unser letztes Amiga-Game sei, wenn das wieder nur kopiert wird (es hatte ja extra keinen Kopierschutz). Daher also noch mal meine „Ermahnung“. Wer heute also einen verfaulten Amiga zu Hause hat, der weiß, warum – das waren meine
Voodoo-Kräfte. J Das hatte ich aber schon längst wieder vergessen. Erst vor einigen Monaten machte mich jemand wieder darauf aufmerksam.

 

Ob sich Lionheart gelohnt hat? Kann ich nicht sagen. Das Finanzielle hatten Willi und Erik im Blick. Sicher ist nur, dass das die letzten Games von Thalion waren. Wenig später wurde der Laden zugemacht, weil wohl kein Geld mehr da war. Ob das aber nun an Lionheart lag, oder ob es da Probleme mit den Geldgebern gegeben hat, kann ich nicht sagen. Hinter Thalion stand ja glaube ich Ariolasoft, die später zu United Software wurden.

AGF:

Was bedeutet dir dieses Spiel heute noch? Und wie siehst du die Zeit von damals aus heutiger Sicht?

 

Matthias:

Nach meinen letzten Projekten für den Amiga hatte ich den ganzen Krempel – Amigas, Disketten, die Games – in große Kisten gepackt und im Keller eingemottet und vergessen. Nicht nur die Sachen von Thalion, später dann auch all die anderen Games, für die ich mal die Mucke gemacht hatte. Das lag lange Jahre in Umzugskartons im Keller. Und ich hatte da auch nicht mehr groß drüber nachgedacht und auch die ganzen Musiken nicht mehr gehört.  Ab und zu schrieb mich mal jemand an: „Hast du nicht die Musik für Lionheart und Ambermoon gemacht?“ Und ich hatte mich dann immer gewundert, dass sich daran überhaupt noch jemand erinnert. Da habe ich dann eigentlich erst gemerkt, dass diese Games schon ’ne große Nummer gewesen sein müssen.

 

Dass ich das alles wieder rausgekramt habe, ging eigentlich erst los, als ich mir eine zweite Webseite angelegt hatte (gamecheck.guru) und da begonnen hatte, all den alten Sachen ein eigenes Kapitel zu gönnen, um die zu füllen. Da habe ich dann alte Festplatten und so durchforstet und die ganzen Projekte wieder online gestellt, auch in der SoundCloud (https://soundcloud.com/audiotexturat). Und dabei auch wieder Spaß an den alten Tracks bekommen und gedacht, dass die ja eigentlich gar nicht so schlecht waren.

 

Die Zeit bei Thalion war aber schon was ganz Besonderes. Das war so eine Aufbruchstimmung damals, fast alles war erlaubt, wir konnten uns kreativ austoben. Dazu der tolle Teamgeist, und dass am Ende auch noch gute Sachen dabei rausgekommen sind, an die sich der ein oder andere noch erinnert, ist natürlich auch schön. Insofern denke ich da immer gerne daran zurück. Ich habe später ja noch in vielen anderen tollen Teams gearbeitet: Ikarion (für die ich, glaube ich, mehr als zehn Games gemacht hatte), Funatics (Cultures und Zanzarah), Psygnosis (Flink für Amiga CD32 und Megadrive – ist bis heute mit Lieblings-Soundtrack und auch mein bester, finde ich. Und war mein letztes Game für den Amiga) und viele andere mehr. Aber so wie bei Thalion war es eigentlich nie wieder. Auch, weil die Zeiten sich geändert hatten, die Games-Industrie wurde professioneller, der Druck größer.

 

AGF:

Du verpasst dem Soundtrack von Lionheart ja gerade einen neuen Anstrich. Die Tracks werden orchestraler und technisch auf den aktuellen Stand gebracht. Sind sie jetzt so, wie du dir das damals vorgestellt hattest? Was hast du damit vor, wird es vielleicht eine neue Soundtrack-CD geben?

 

Matthias:

Ja, nicht nur Lionheart, sondern allen Thalion-Soundtracks. Die Idee dahinter war, dass ich damals ja einen orchestralen Klang im Kopf hatte, den aber aus technischen Gründen nicht so umsetzen konnte, wie ich mir das damals vorgestellt hatte. Eriks Vorgabe war ja auch immer „Filmmusik“ (bzw., „soll klingen wie Pink Floyd“ – O-Ton Willi zum Airbus A320), aber mit 100 KB kommt man damit nicht so weit. Da wollte ich einfach mal schauen, ob ich das heute – mit den heutigen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen – besser hinbekomme. Ich bin da schon ganz zufrieden, aber perfekt sind die noch lange nicht. Leider komme ich auch nur in meiner Freizeit dazu, sodass es vermutlich noch eine ganze Weile dauern wird, bis ich damit fertig sein werde. Wenn ich es überhaupt jemals schaffe. Und Flink wollte ich ja eigentlich auch noch machen. Aber ich bleibe dran. Und vielleicht wird daraus dann auch mal eine CD, falls sich genug Leute finden, die sich für die alten Dinger noch interessieren. Wobei ich ja Vinyl noch schöner finde. Na, mal schauen. Die bisherigen Tracks gibt’s übrigens hier: https://soundcloud.com/audiotexturat/sets/work-in-progress

 

AGF:

Was machst du heute beruflich?

 

Matthias:

Immer noch ein bisschen Radio (für SWR3), aber lange nicht mehr so viel wie früher. Nach dreißig Jahren nutzt sich das schon etwas ab. Dann betreue ich zwei Kurse an einer
Online-Akademie (Radio-Journalismus und Musik für Games bei Audiocation), schreibe viel für die Musikerplattform amazona.de, wo ich seit vielen Jahren Studio-Hard- und Software teste. Ich bin Texter (und hier und da auch Pressesprecher) für einige Unternehmen (Pressemeldungen, Newsletter, Podcasts etc.) und arbeite auch noch als Sprecher (Werbung, Videos). Da bleibt dann nicht mehr so viel Zeit für die Musik, wie ich es mir wünschen würde.

 

AGF:

OK, das war’s. Danke für das Interview. Es war uns eine Ehre!

 

Matthias:

Danke auch. Hat Spaß gemacht, wieder mal in den Erinnerungen zu kramen.