Interview mit Volker Wertich und Thomas Hertzler, im Gespräch zur Entwicklung von Die Siedler für den Amiga.

Interview mit Volker Wertich und Thomas Hertzler

Volker Wertich, schöpfer von Die Siedler und Thomas Hertzler, Gründer von Blue Byte im Gespräch zur Entwicklung von Die Siedler-.

 

AGF: Hallo Volker, hallo Thomas, großartig, dass ihr für dieses Interview dabei seid.

Volker: Sehr gerne! Es freut mich natürlich, dass auch nach über 30 Jahren ein von mir entwickeltes Computerspiel immer noch im Gedächtnis ist und sogar die ersten Teile noch immer viele Fans haben.

Thomas: Hallo Martin, es ist mir eine Freude, über die „guten alten Zeiten“ zu plaudern. Die Lorbeeren gehen natürlich größtenteils an Volker. Meine Aufgabe als Produzent war es, ihm die Mittel zum Erfolg bereitzustellen.

AGF: Zu Beginn die übliche Frage: Welche waren deine ersten Computer- und Videospielerfahrungen? Wie bist du zum Programmieren gekommen?

Volker: Ich hatte bereits im Alter von 8 bis 12 Jahren zahlreiche Brettspiele selbst gebastelt und hatte hier also scheinbar ein kreatives Talent. Damals gab es auch die ersten „Pong“-Spiele, die jedoch noch keine Faszination auf mich ausübten. Das änderte sich, als ich im Urlaub erstmals einem Spielautomat von „Space Invaders“ begegnete. Mir wurde schnell klar, dass mit der Programmierung von Spielregeln gegenüber Brettspielen völlig neue Möglichkeiten entstehen. Ich wollte unbedingt das Programmieren erlernen und begann im Alter von 13 Jahren zuerst mit Basic und dann mit Assembler, der viel schnelleren Sprache der CPUs.

Thomas: Mein erster Kontakt mit Computern war der C64, so etwa 1983. Um Floppy und Drucker zu ergattern, habe ich damals eine Lohnabrechnung für das Bauunternehmen meines Vaters in Basic geschrieben. Während meiner Zeit bei der Bundeswehr habe ich auch mal 6502 Assembler ausprobiert, das gefiel mir aber nicht so sehr. Das änderte sich, nachdem ich mir den Atari ST zugelegt hatte. Mit 8 MHz und 32-bit-Arithmetik war der Motorola 68000 einer der am einfachsten zu programmierenden Rechner seiner Zeit.

AGF: Welches war dein erstes eigenes Spiel, das du programmiert hast?

Volker: Man konnte in Basic sehr schnell programmieren, aber der Programmcode lief sehr langsam und war für Spiele ungeeignet. Für Assembler gab es noch kaum gute Tools, und die Programmierung war sehr umständlich. Ich experimentierte und entwickelte viele kleinere Spiele, um selbst zu lernen und besser zu werden. Mit 14 Jahren entwickelte ich dann einen eigenen Compiler auf dem Commodore VC-20, meinem ersten Heimcomputer, um eine Art vereinfachtes Basic in Maschinensprache zu übersetzen.

Mit diesem Compiler erstellte ich dann auch mein erstes kommerzielles Spiel „Time Raiders“, das ich an Kingsoft verkaufte. Es handelte sich um ein Weltraumspiel, inspiriert von „Star Raiders“, welches 1979 für die Atari 2600 Konsole erschien. Ich erhielt damals 1500 DM von Kingsoft – für mich als Schüler war das erstmal sehr viel Geld.

Thomas: Während meiner zwei Semester Elektrotechnik (abgebrochen) in Duisburg programmierte ich mein erstes Spiel, mit dem ich mich dann bei den einschlägigen Spielefirmen bewarb. Offiziell begann meine berufliche Karriere in der Spielebranche 1986 bei Rainbow Arts.

AGF: Auf dem Amiga hast du mit Spielen für Diskettenmagazine angefangen. Wie kamst du dazu und welche waren das?
(Hinweis: Auf dem Amiga hattest du vorher Emerald Mine entwickelt, danach erst Alienator und Transplant, soweit ich sehe.)

Volker: Nach dem VC-20 stieg ich zunächst auf den C64 um und bastelte weiter an zahlreichen Spiele-Experimenten, verkaufte aber zunächst keine Spiele mehr. Das lag auch daran, dass ich zu dieser Zeit für meinen Bruder eine Software zur Bildübertragung per Funk entwickelte; er stellte dafür die Hardware her, und wir verkauften das gemeinsam und stellten es auch auf ein paar Messen aus.

Mittlerweile hatte ich den Amiga 1000 erworben, und das war dann ein Kulturschock. Der Amiga war so viel fortschrittlicher; vieles von dem Wissen, das ich mir auf dem VC-20 und C64 angeeignet hatte, war hier nicht mehr gültig. Der 68000er-Prozessor war nicht nur leistungsfähiger, sondern auch viel besser in Assembler zu programmieren. Die Co-Prozessoren waren sehr hilfreich, aber es war schwer, überhaupt Dokumentation zu finden, wie man diese nutzt. Nach einiger Zeit entdeckte ich dann das „Amiga Hardware Reference Manual“ – und plötzlich machte alles Sinn.

AGF: Warum standet ihr in den Credits gar nicht oder bestenfalls unter Pseudonym?

Volker: Damals wurde auf Credits noch kein großer Wert gelegt. Ich hatte einfach gar nicht darauf geachtet, dass mein Name bei der Veröffentlichung genannt wurde. In den Anfangsjahren war ich beim Marketing meines Namens sicher mehr als naiv – es ging mir immer nur um die Spiele.

Thomas: Sicher ein großer Fehler, der aber, glaube ich, in der deutschen Psyche liegt. In England und den USA war das ganz anders. Dort wurde die Stärke des Personenkults schon sehr früh für die Vermarktung genutzt. Teilweise wollten die Publisher das auch nicht, um sich selbst zu rühmen und ihren Namen aufzubauen. Auch als Blue Byte mussten wir in den ersten Jahren immer um die Credits und die Logoplatzierung kämpfen.

AGF: Nach kurzer Recherche war dein erstes Boxed-Spiel Emerald Mine, das 1987 erschien. Ein großartiges Spiel, das mich damals sehr begeistert hat. Wie kam es zu dieser Idee, einen Boulder Dash-Clone zu machen? Wie erfolgreich war es? Was habt ihr anders gemacht?

Volker: Mir gefiel Boulder Dash sehr gut, und ich sah großes Potenzial, wenn man die Grundidee des Systems – Schwerkraft und Tunnel graben – in einem viel umfangreicheren Projekt und mit Multiplayer verwendete. Ich habe das Spiel gemeinsam mit meinem Freund Klaus Heinz über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten entwickelt, natürlich nach der Schule.

Ich kenne die Verkaufszahlen von Emerald Mine nicht, da ich keine Erfolgsbeteiligung hatte, aber ich glaube, Kingsoft hat mit dem Spiel sehr gute Umsätze erzielt.

AGF: Danach gab es zwei weitere Emerald Mine-Teile, die sich aber nicht stark unterschieden. Was war der Unterschied? Und was hast du sonst in dieser Zeit gemacht? Doch nicht nur Emerald Mine?

Volker: Soweit ich mich erinnere, bestanden die weiteren Teile vor allem aus neuen Levels und hatten spielerisch kaum Veränderungen. Ich habe daran nur wenig selbst gearbeitet. Nur der Karten-Editor, für viele Spieler ein herausragender Schritt, kam eventuell erst mit dem zweiten Teil, da bin ich mir nicht mehr sicher.

AGF: Wie kamst du auf die Idee zu Die Siedler? Wie lange geisterte das Konzept schon vorher in deinem Kopf?

Volker: Ich hatte Vorberichte über Populous gelesen, und in meinem Kopf entstand die Idee für ein neues Spiel mit Einheiten und Gebäuden, das es so noch nicht gab. Als Populous dann tatsächlich veröffentlicht wurde, war ich zunächst enttäuscht – es war zwar ein gutes Spiel, aber völlig anders, als ich es erwartet hatte.

Die Idee, ein Spiel aus der Vogelperspektive zu entwickeln, in dem zahlreiche Figuren die Bauaufträge des Spielers in einer umfassenden Simulation ausführen, war jedoch bereits in meinem Kopf. Ich begann, nach einem Auftraggeber zu suchen.

AGF: Wie bist du dann zu Blue Byte gekommen? Die Spiele davor liefen ja alle unter anderen Firmen.

Volker: Während ich bisher alle Spiele zunächst auf eigene Kosten entwickelte und dann verkaufte, war es bei dem neuen Projekt notwendig, schon vorab über die Finanzierung nachzudenken und mit einem Publisher zu arbeiten. Mir war klar, dass die Entwicklungszeit vermutlich mindestens ein Jahr betragen würde. Ich war gerade 20 Jahre alt und hatte vor kurzem die Schule abgeschlossen.

Um 1990 waren viele Publisher im Ruhrgebiet, und ich hatte erste Kontakte zu mehreren aufgebaut (Blue Byte, Rainbow Arts, Star Byte …). Vermutlich Ende 1991 hatte ich dann ein Treffen mit Thomas Hertzler von Blue Byte und stellte ihm zwei Spielideen vor.

Zur ersten, einem 3D-Spiel, hatte ich sogar schon einen ersten Prototyp entwickelt. Die zweite Idee – das Konzept der Siedler – konnte ich nur mit Worten beschreiben. Thomas Hertzler war sofort davon überzeugt, und wir arbeiteten einen Vertrag für die Entwicklung aus, zunächst geplant für zehn Monate. Das war aber etwas optimistisch, später mussten wir den Vertrag auf 20 Monate ausdehnen.

Der Name Die Siedler war eine Idee von Thomas, die während der Entwicklung entstand. Weihnachten 1993 war das Spiel dann fertig und wurde veröffentlicht.

Thomas: Tatsache ist, dass ich mich nur dunkel an dieses Treffen erinnern kann. Abgesehen von den vorgestellten Projekten gefiel mir Volkers Persönlichkeit sehr. Er war selbstsicher, aber nicht von sich eingenommen. Außerdem hatte er schon bewiesen, dass er ein Projekt zu Ende bringen konnte – das ist bei einer langfristigen Zusammenarbeit nicht unwichtig.

AGF: Die Finanzierung kam während der Entwicklung von Die Siedler ins Wackeln. Die Sparkasse sprang ein. Du hattest das mal erzählt, Thomas: Wie ging die Geschichte nochmal genau?

Thomas: Blue Byte war damals Kunde bei der Deutschen Bank. Wir hatten – das wird so 1992/93 gewesen sein – einen Überziehungskredit im niedrigen fünfstelligen DM-Bereich. In diesem Zeitraum gab es in Deutschland wohl einige Pleiten im kommerziellen EDV-Bereich (die Kids heute sagen IT).

Aus Frankfurt kam die Anweisung, sämtliche Konten von Firmen, die etwas mit Computern zu tun hatten, zu kündigen. Dass die Spielebranche in diesem Zeitraum großes Wachstum sah, interessierte bei der DB niemanden.

Dank guter Beziehungen meines Vaters zur Sparkasse (ich hatte dort auch ein Privatkonto) konnte man uns aber weiterhelfen. Das waren interessante Zeiten …

AGF: Frank Matzke (Apidya, Turrican) war zum Beispiel für das Titelbild von Alienator verantwortlich. Kannst du dich an die Zusammenarbeit erinnern? Angeblich stand Frank sogar als Grafiker für Die Siedler im Gespräch. Wie kam Christoph Werner dann ins Spiel?

Volker: Ich hatte selbst gar keine Kontakte zu Grafikern. So beauftragten oder vermittelten meine Geschäftspartner je nach Projekt die Grafiker. Bei allen Spielen vor Die Siedler erstellte ich die In-Game-Grafik noch selbst; nur Titelbild und Musik wurden von anderen Beteiligten erstellt und nicht von mir beauftragt. Bei den Siedlern arbeitete erstmals ein Grafiker Vollzeit an einem meiner Spiele. Der Kontakt kam durch Thomas Hertzler zustande. Ob Christoph Werner Angestellter bei Blue Byte oder Freiberufler war, weiß ich nicht genau. Wir hatten aber viel telefonischen Kontakt und auch ein paar Treffen vor Ort.

Thomas: Christoph war damals fest bei Blue Byte angestellt.

AGF: Warum war der Amiga die erste Plattform für Die Siedler und nicht der PC? Ich fand die Entscheidung als Amiga-Fan natürlich gut.

Volker: Ich bin sehr froh, dass ich den Programmcode auf dem Amiga für den 68000er Prozessor entwickeln konnte. Der seltsame Befehlscode der PC-Prozessoren (damals und heute) hätte eine so komplexe Entwicklung rein in Assembler vielleicht gar nicht zugelassen. Heute wäre das dank erstklassiger C-Compiler nicht mehr nötig, um performante Spiele zu entwickeln. Damals war ein Spiel mit mehreren tausend aktiven Einheiten nur in Assembler denkbar.

Für die Umsetzung auf PC haben Freunde von mir (Ingo Frick und Alexander Jorias) mit meiner Unterstützung einen Cross-Compiler geschrieben – der Amiga-Assembler-Code wurde also in PC-Assembler-Code übersetzt. Da die PCs damals bereits eine höhere Taktfrequenz hatten (15–30 MHz gegenüber dem Amiga mit 7 MHz), war ein gewisser Performance-Verlust unproblematisch. So gelang es uns bereits 1994, das Spiel auch für den PC zu veröffentlichen.

Thomas: Ganz dunkel und nebulös erinnere ich mich noch, aber es war schon der Hammer, als Volker mit der Lösung zur Konvertierung kam. Bis dahin hatte ich große Bedenken, da Amiga und PC so unterschiedlich aufgebaut waren. Mit Ingo und Alexander haben wir später noch Schleichfahrt / Archimedean Dynasty gemacht – technisch und spielerisch absolute Spitzenklasse, aber leider nur mittelmäßige Verkaufszahlen.

AGF: Warst du dir zuvor sicher, dass der Amiga das Spiel in dieser Form überhaupt schafft? Man merkt ja oft erst später, wie schwierig gewisse Dinge werden.

Volker: Ich habe dafür keine Planung erstellt, sondern einfach mal drauflos programmiert. Wenn bei 500 Einheiten Schluss gewesen wäre, hätte ich das Design des Spiels sicher anpassen müssen. Letztlich gelang es mir, dass sogar auf dem Standard-Amiga mit 7 MHz bis zu 4000 Siedler mit solider Performance über die Spielwelt wuseln konnten. Das erlaubte wirklich große Karten und lange Spielzeiten mit entsprechender Spieltiefe.

Thomas: Ich habe nie Zweifel gehabt. 😉

AGF: Die Siedler wurde in Assembler geschrieben. Warum nicht in C oder AMOS? Was waren die Vor- und Nachteile von Assembler?

Volker: Die Gründe habe ich schon zuvor erläutert. Compiler damals waren nicht annähernd so leistungsfähig wie heute. Nachteil war natürlich ein schwer wartbarer, praktisch unkommentierter Code, den nur eine Person verstand. Hätte mir während der Entwicklung etwas passiert, hätte Blue Byte vermutlich einen Totalverlust erlebt.

Thomas: Genau. Man muss bedenken, dass man damals noch die Taktzyklen der CPU zählte. Effektiv geschriebener Assembler-Code war mindestens doppelt so schnell wie C-Code. Außerdem ging der Compiler nicht zimperlich mit Speicher um. Wir haben stets versucht, die minimale Hardware-Konfiguration zu bedienen. Diskettenplatz war auch immer ein Thema.

AGF: Lag die Programmierung wirklich komplett bei dir allein? Hattest du Unterstützung?

Volker: Der gesamte Code des Spiels stammt tatsächlich von mir. Andere hätten sich darin kaum zurechtfinden können. Auch die Anleitung habe ich noch selbst geschrieben. Grafik, Titelbild, das Intro und Musik wurden von anderen talentierten Entwicklern erstellt. Und natürlich hatte Blue Byte ein ganzes Team für Vervielfältigung und Vermarktung.

AGF: Warst du für die Entwicklung in den Blue-Byte-Büros? Wie groß oder komfortabel waren diese? Oder hast du zu Hause programmiert?

Volker: Bei Siedler I war ich nur zu einigen Treffen und Terminen in Mülheim bei Blue Byte. Die Programmierung fand ausschließlich zu Hause statt. Erst bei Siedler III war ich während der Masterphase 1998 für vier Monate bei Blue Byte – die stressigste Masterphase meines Lebens mit meist 100 Arbeitsstunden pro Woche. Blue Byte kämpfte damals mit Finanzproblemen, das Weihnachtsgeschäft 1993 durfte nicht verpasst werden, und unser Projektleiter Erik Simon bekam vermutlich ein paar graue Haare. Zum Glück endete alles positiv: hervorragende Wertungen, sehr glückliche Spieler und gute Verkaufszahlen.

AGF: Gab es Elemente, die aus technischen oder zeitlichen Gründen weggelassen wurden?

Volker: Bei Siedler I gab es keine Features, die ich noch einbauen wollte, für die keine Zeit war. Das Spiel war wirklich „fertig“ und es gab keine Kompromisse. Man hätte vielleicht noch eine richtige Kampagne einbauen können, aber der Kern war die prozedurale Kartenerstellung mit den entsprechenden Überraschungen.

Thomas: Das Spiel war wirklich zu 100 % komplett. Nach der Veröffentlichung kamen uns natürlich neue Ideen, zum Beispiel Lagerhäuser. Auch die eingeschickten Registerkarten gaben interessante Anstöße.

AGF: Welcher Teil der Entwicklung war besonders schwierig? Dass alles an Werten und Reaktionen im Spiel passt, stelle ich mir bei einem Strategie-Wirtschaftssimulator sehr kompliziert vor.

Volker: Die Programmierung des Spiels selbst in Assembler war natürlich eine große Herausforderung. Davon abgesehen gab es damals beispielsweise noch keine richtige QA (Testabteilung), d.h. Freunde von mir haben über einige Wochen nach Feierabend bei mir zu Hause beim Testen des Spiels geholfen. Die Suche nach Fehlern war sehr schwierig, weil es noch kein Debugging gab bzw. meine Tools das nicht boten. Ich bin also meist mit der Ausgabe von Datenwerten auf Fehlersuche gegangen – in mehreren Iterationen. Der beste Weg zu effizienter Fehlersuche war die Vermeidung von Fehlern bereits durch sehr sorgfältige Programmierung…

AGF: Kannst du mir ein paar Fakten zu Die Siedler für den Amiga nennen? Siedleranzahl, Bildschirmgrößen, Anzahl der Elemente wie Gebäude.

Volker: Auf dem Standard-Amiga konnten 4.000 Siedler herumlaufen, bei stärkeren Prozessoren waren auch 16.000 und noch mehr möglich. Die Anzahl der Gebäude war praktisch unlimitiert, nur durch den vorhandenen Platz auf einer Karte begrenzt. Bei der Bildschirmauflösung gab es damals nach meinem Wissen nur PAL, wobei ich nach meiner Erinnerung den Bildschirmrahmen minimierte, damit mehr Spielinhalt sichtbar ist.

AGF: Wie lange dauerte die Entwicklung?

Volker: Es waren insgesamt 20 Monate, ich glaube von März 1992 bis Oktober 1993.

AGF: Bei uns kennt man das Spiel als Die Siedler, im Englischen als The Settlers, aber auch der etwas seltsame Name Serf City: Life is Feudal und Gongren Wuyu sind mir untergekommen. Welcher ist der Originaltitel und welchen Regionen (Ländern) sind die einzelnen Titel zuzuweisen?

Volker: Der Chef von Blue Byte, Thomas Hertzler, suchte damals einen Vertriebspartner in den USA für Die Siedler. Dieser Partner wollte möglichst einen anderen Titel, da nach seiner Ansicht The Settlers in den USA irreführend als Kolonisierung des Wilden Westens verstanden werden würde. Das Argument ist sicher richtig, vermutlich wäre es aber trotzdem klüger gewesen, beim Originaltitel zu bleiben. Ob sonst noch andere Titel verwendet wurden, kann Thomas Hertzler sicher besser beantworten als ich. 😎

Thomas: Das stimmt, was Volker da sagt. SSI, unser Vertriebspartner in den USA, hatte volle Kontrolle über die Präsentation und Vermarktung. Der Titel und die Artwork der Verpackung waren auch nicht nach meinem Geschmack, aber letztendlich war SSI ein renommiertes Unternehmen, und ich hatte sie ja wegen ihrer Kompetenz ausgewählt.

AGF: Wo war das Spiel am erfolgreichsten? Wie erfolgreich war es allgemein?

Volker: Das Spiel war in ganz Europa sehr erfolgreich und dabei außergewöhnlich erfolgreich im deutschsprachigen Raum. Aber auch in den USA und weltweit erreichte es eine gewisse Bekanntheit. Der Titel Die Siedler ist heute den meisten Spielern ein Begriff. Thomas Hertzler hat hier aber sicher bessere Daten!

Thomas: Trotz aller Bemühungen im Ausland war Deutschland der größte Markt für uns. In England und Frankreich legte Ubisoft sich sehr ins Zeug und präsentierte uns gute Verkaufszahlen.

AGF: Warum kam Die Siedler so gut an? Was war eurer Meinung nach das Erfolgsrezept, dass die Massen dieses Spiel so lieben?

Volker: Die wichtigsten Punkte vom Spieldesign, warum Die Siedler ein erfolgreiches Spiel wurde, aus meiner Sicht:

  • Die Erteilung von Aufträgen, welche dann von den halbwegs schlauen Siedlern automatisch umgesetzt werden, ohne dass man sie steuern muss. Das war zu dieser Zeit recht einzigartig.
  • Die detaillierte Visualisierung aller Vorgänge in der Draufsicht, wodurch das Spiel viel nachvollziehbarer war als die meisten Spiele dieser Zeit. Das Beobachten der Spielwelt macht einfach Spaß, und auch Kinder können das Spiel gut erlernen.
  • Das gemütliche Spieltempo, in dem man Zeit zum Nachdenken hat, um wichtige Entscheidungen zu treffen.
  • Die mittelalterliche, nachvollziehbare Spielwelt mit gut verständlichen Waren und Produktionsvorgängen.

Thomas: Wuselfaktor.

AGF: Wurdest du an den Verkäufen beteiligt, oder gab es einfach nur ein Grundgehalt während der Entwicklung?
Volker: Es gab für die Entwicklung ein eher bescheidenes Grundgehalt, dafür aber eine Erfolgsbeteiligung an den Verkäufen. Das hatte ich auch so gewünscht: Ich wollte das Risiko für den Auftraggeber bei der Investition gering halten, aber bei Erfolg auch partizipieren.
Thomas: Yep. Und es hat sich für Volker und BB gelohnt. 😉

AGF: Lagen die Rechte an Die Siedler bei Blue Byte alleine, oder hattest du Anteile oder sogar die kompletten Rechte?
Volker: Ehrlich gesagt glaube ich, dass die genauen Rechte in dem über 30 Jahre alten Vertrag nicht so detailliert geregelt sind, wie man das heute machen würde. Das liegt sicher auch daran, dass die Branche damals noch im Anfangsstadium war.
Thomas: Da hat Volker recht. Wie wasserdicht der Vertrag nach heutigen Standards ist, kann ich nicht sagen. Da es aber von Anfang an klar war, dass Die Siedler keine unbedeutende Investition war, hatten wir uns breite Rechte an der Vermarktung und Weiterentwicklung gesichert.

AGF: Der zweite Teil war kein Thema für den Amiga, oder?
Volker: Leider war damals absehbar, dass Commodore dem Amiga keine große Zukunft bescheren würde. Das ist sehr bedauerlich, weil das damalige Amiga-System und auch das Betriebssystem seiner Zeit unglaublich weit voraus waren. Ich selbst habe ja auch nicht an Siedler II gearbeitet, also ob da noch eine Version für den Amiga angedacht wurde, kann vielleicht auch Thomas beantworten. Als ich dann 1996 mit der Entwicklung von Siedler III begann, wurde eine Amiga-Version nicht mehr diskutiert, vermutlich weil auch die Verbreitung der leistungsfähigeren Amiga-Systeme zu gering war.
Thomas: Commodore meldete 1994 Insolvenz an, und der PC-Markt – gerade in den USA – ließ alle anderen Plattformen hinter sich. Technisch wäre Siedler II nur noch auf Hardware der zweiten Generation (68020/30/40) möglich gewesen. Die installierte Basis war einfach nicht da. Interessant ist noch, dass ich aus welchen Gründen auch immer fest davon überzeugt war, dass Volker nicht an einem Nachfolger interessiert war. Dieses Missverständnis hat sich nach 30 Jahren geklärt. 🙂 Außerdem war die Begeisterung in der hausinternen Entwicklungsabteilung für einen Nachfolger anfänglich sehr gering.

AGF: Gibt es irgendeine erwähnenswerte, vielleicht witzige oder kuriose Geschichte rund um Die Siedler, aus der Entwicklungszeit oder danach?
Volker: Mit dem eigentlichen Projektstart nur nach „mündlichem Pitch“ oder der QA-Abteilung in meinem Wohnzimmer habe ich in den bisherigen Antworten schon zwei Beispiele gegeben. Weitere fallen mir gerade nicht ein.
Thomas: Witzig vielleicht nicht, aber der Stress war schon bei 11 von 10. Es ging so weit, dass ich kurz vor der Veröffentlichung ins Krankenhaus eingeliefert wurde.

AGF: Die weiteren Teile haben sich stetig weiterentwickelt. Das Spiel gab es in etlichen Versionen und Fortsetzungen, zuletzt mit Die Siedler: Neue Allianzen. Bis zu welchem Teil warst du noch dabei? Hat sich Die Siedler deiner Meinung nach zum Besseren oder Schlechteren entwickelt? Was hältst du vom letzten Teil? Welcher war deiner Meinung nach der Beste?
Volker: Ich habe den ersten und dritten Teil der Reihe gestaltet und programmiert, wobei mir beim dritten Teil bereits mein heutiger Geschäftspartner Dirk Ringe und in der Endphase vier weitere Programmierer bei Blue Byte zur Seite standen. Siedler II betrachte ich als eine sehr gelungene Weiterentwicklung von Siedler I, bei dem einiges verbessert und neue interessante Ideen hinzugefügt wurden. Siedler IV ist mehr eine abwechslungsreiche Variation von Siedler III mit sehr ähnlichem Regelwerk. Diese vier Teile stellen für mich das Kernspiel von Die Siedler dar, während ab Siedler V deutlich andere Wege beschritten wurden.

AGF: Die Siedler ist ja auch als Brettspiel bekannt – Die Siedler von Catan. Das Brettspiel kam erst 1995. Ich kann keinerlei Verbindung finden, was Markenrechte angeht. Aber es ist schon etwas seltsam: gleicher Name und im Grunde dasselbe Spielprinzip. Gab es da Gespräche, einen Zusammenhang, oder ist es einfach nur dreist als Brettspiel portiert worden?

Volker: Natürlich gibt es zwischen dem Computerspiel und dem Brettspiel einige Gemeinsamkeiten, aber ich möchte dem Brettspiel nicht absprechen, dass es auch ein eigenständiges Regelwerk und gute Ideen hat. Zwischen einem Computerspiel und einem Brettspiel gibt es einige grundlegende Unterschiede, sodass ich hier nicht von einer „Portierung“ sprechen würde. Nach meinem Wissen gab es jedoch zwischen Blue Byte und dem Team hinter dem Brettspiel einige Rechtsstreitigkeiten wegen der Namensrechte, über die Thomas Hertzler sicher mehr Kenntnis hat.

Thomas: Die Siedler von Catan kamen schon überraschend. Der Name und auch das Artwork waren schon im Grenzbereich. Ich bin kein großer Freund von Gerichtsverfahren, also hatten wir uns damals mit Klaus Teuber darauf geeinigt, in unseren jeweiligen Branchen zu bleiben. Wir machen keine Brettspiele, und Teuber macht keine Computerspiele. Soweit ich weiß, haben sich beide Seiten an das Abkommen gehalten.

AGF: Was war besser – Videospiele entwickeln: heute oder damals?

Volker: Die Vorteile damals waren die Möglichkeit, „einfach so“ als Hobby Spiele zu entwickeln und damit fast immer etwas Neues zu erschaffen, das so noch nie dagewesen ist. Eine solche Phase gibt es in der Geschichte der Computerspiele leider nur einmal. Aber auch heute ist die Spieleentwicklung ein sehr spannendes Feld mit zahlreichen kreativen Möglichkeiten. Ich liebe den Beruf nach wie vor, auch nach rund 41 Jahren in der Branche.

Thomas: Früher war alles besser 😉 Es war sicherlich anders. Gerade in Deutschland, wo die Branche noch klein war, kannten sich fast alle Beteiligten – wenn nicht persönlich, dann vom Namen her. Nicht jeder konnte sich leiden, und es gab auch einige schwarze Schafe. Das machte es interessant. Ist heute vielleicht auch noch so, aber nicht mehr so persönlich. Von der technischen Seite stehen heute leistungsfähige Werkzeuge zur Verfügung, von denen wir damals nur geträumt hätten. Als Spieleentwickler ist man innerhalb dieser Ökosysteme tätig und versucht sein Bestes. Entstehen dabei wirklich neue Ideen? Hätte es Die Siedler und andere Top-Titel gegeben, wenn die Erschaffer nicht bis an die Grenzen des Möglichen und darüber hinaus gegangen wären?

AGF: Welches ist für dich das beste Spiel überhaupt, außer Die Siedler? (-;

Volker: Ich habe mehr Spielzeit in dem MMORPG Everquest verbracht als in jedem anderen Spiel, da mir die Herausforderung, die erlebnisreiche Spielwelt und das Teamplay dort prägende Erlebnisse geboten haben, die in meiner Erinnerung geblieben sind – mehr als jedes andere Spiel. Ich spiele heutzutage sicher weniger verschiedene Spiele als früher, dafür aber immer noch gerne intensiv. Zurzeit spiele ich z. B. gerne Valheim und Oxygen Not Included.

Thomas: Civilization V. Steam hält nach, wie viele Stunden ich damit verbracht habe – und immer noch verbringe. Ich sage es aber nicht… Das Spiel ist wirklich etwas für die einsame Insel.

AGF: Was machst du heute beruflich?

Volker: Computerspiele! Siehe Pioneers of Pagonia!

Thomas: Computerspiel/Simulation, Arbeitstitel “Energy is Life or How I Learned to Stop Worrying and Love the Dunkelflaute”.

AGF: Danke für das Interview, es war mir eine Ehre.

Volker: Ich habe für die vielen guten Fragen zu danken, die mich gedanklich mal wieder in meine Jugend und frühe Arbeitsphase gebracht haben. Das war sehr spannend!

Thomas: Shit, I am getting old…

Interview: Martin Becker / Volker Wertich / Thomas Hertzler